Vom Pionierprojekt zum Erfolgsmodell: 50 Jahre Lern- und Spielstube Ohmbach

Als Scharnier zwischen Elternhaus und Schule die Entwicklungschancen von Kindern in sozial benachteiligtem Umfeld verbessern

Vom Pionierprojekt zum Erfolgsmodell: 50 Jahre Lern- und Spielstube Ohmbach

Impression aus der Spiel- und Lernstube Ohmbach (Bildquelle: Stadt Pirmasens)

„Man muss etwas für die Kinder tun“ lautete die Devise der 68er-Bewegung mit Blick auf die allzu ungleichen Entwicklungschancen der jüngsten Generation. Getragen von studentischem und kirchengemeindlichem Engagement führte dies 1971 in Pirmasens zur Einrichtung eines „sozialpolitischen Arbeitskreises“. Aus der Keimzelle heraus gründete sich 1972 – somit vor 50 Jahren – im Wohngebiet Ohmbach die erste Lernstube in der Südwestpfalz überhaupt. Sie zählt bis heute zu den wichtigsten Vorreitern mit Vorbildfunktion für viele weitere Einrichtungen ihrer Art in Pirmasens und Rheinland-Pfalz, wie sie über die Jahrzehnte hinweg mit teils abweichenden Vorzeichen in unterschiedlichen Milieus und unter verschiedenen Trägerschaften entstanden sind; allein in Pirmasens gibt es heute vier von landesweit an die 40 Spiel- und Lernstuben.

„Von der Initiative zur Gründung über die Entstehung bis hin zur Organisation des laufenden Betriebs der ersten Jahre: Die Lernstube Ohmbach ist komplett auf ehrenamtlicher Basis und bürgerlichem Engagement entstanden“, betont Oberbürgermeister Markus Zwick. „Sie steht somit mustergültig für das Pirmasenser Modell, nach dem sich immer wieder gezeigt hat, wie die Stadtgemeinschaft überall dort engagiert und gut vernetzt anpackt, um Herausforderungen im Sozialwesen beherzt anzunehmen und Benachteiligten zu helfen, wo es dazu angesichts knapper öffentlicher Kassen an Möglichkeiten fehlt.“

Die Anfangszeit: Schlichtwohnungen am Stadtrand
Mit bis zu 20 Kindern in einem Haushalt in äußerst prekären Wohn- und Lebensverhältnissen gestalteten sich zu Beginn der Siebzigerjahre die Lernbedingungen im in Stadtrandlage gelegenen Quartier denkbar schlecht. Abhilfe geschaffen wurde Anfang 1972 mit einem zunächst rein ehrenamtlichen Angebot der Hausaufgabenbetreuung für die rund 30 Grundschüler. Die zusätzliche Beschäftigung pädagogischer Teilzeitkräfte für die Koordination von Schule und Eltern, aber auch zur Ausweitung der Betreuung auf Spielzeiten nach den erledigten Hausaufgaben wurde erst Ende 1972 durch ein jährliches Budget der Stadt in Höhe von 7.000 DM möglich. Einher ging die dazu notwendige Gründung des Fördergemeinschaft Ohmbach e. V., der bis heute als Träger fungiert. Damals wie heute trugen und tragen außerdem Zuwendungen von Einzelpersonen, lokalen Unternehmen und Institutionen zur Finanzierung bei – bereits seit 1972 der Lions Club Pirmasens.

Die Spende einer Bank über 5.000 DM ermöglichte es 1975, die Vorschularbeit für 25 Kinder aufzunehmen, um sie auf die Erfordernisse der Schule grundlegend vorzubereiten – „in einer Zeit, in der nur ein einziges Kind überhaupt einen Kindergarten besucht hatte“, wie Gerhard Heil betont. Der Vorsitzende des Fördergemeinschaft Ohmbach e. V. seit 1972 erinnert sich: „Wie in einem Schichtbetrieb haben sich damals die Kinder im „Heisel“ die Klinke in die Hand gegeben: Morgens kamen die Vorschulkinder, nachmittags die Schulkinder aus allen Schultypen und am frühen Abend die Älteren in die Jugendgruppenstunden.“

„Heisel“ bedeutet im Pirmasenser Dialekt so viel wie „kleines Häuschen“. So hieß von Beginn an der am Asternweg von der Stadt bereitgestellte Standort mit den Räumen der Lern- und Spielstube Ohmbach, die immer wieder durch reichlich Eigeninitiative erweitert wurden.

Lernstube und Kindergarten ergänzen sich
Auf 1980 datieren ein Anbau und das Umfunktionieren der Spielstube im unteren Stockwerk des „Heisel“ zu einem nun städtischen Kindergarten. Im Obergeschoss übernahm Diplom-Sozialpädagogin Adelheid Theisinger die Leitung der Lernstube – zunächst noch als ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme)-Kraft und ab 1986 festangestellt; beide Einrichtungen ergänzen sich bis heute ideal. Fließend erfolgte eine Ausweitung der Aktivitäten auch auf die erwachsene Generation, „im Sinne sozialer Kontrolle und Einflussnahme, aber stets getragen von Wertschätzung des Gegenübers und immer mit Blick auf das Wohl der Kinder“, wie Adelheid Theisinger betont. Als Scharnier zwischen Elternhaus und Schule finden hier wie dort offene Gespräche statt, eine Aufgabenverteilung wird individuell getroffen mit dem Ziel, für jedes Kind bestmögliche Entwicklungschancen zu schaffen.

„Für die Schulen spielten die Lernstuben damals eine zunehmend wichtige, weil unterstützende Rolle und auch der Draht in die Elternhäuser hat sich verfestigt“, so Adelheid Theisinger. Auch ohne konkreten Anlass zu haben, fanden Treffen statt, etwa von Müttergruppen, und immer mehr kamen auch die Eltern mit ihren Sorgen und Nöten direkt auf die Einrichtung zu. Im Jahr 1993 sollte es schließlich zur endgültigen Klärung der Finanzierung kommen. Die drei festen Stellen teilen sich seither Stadt (Nebenkosten und 60 Prozent der Löhne) und Land (40 Prozent der Löhne). Hinzu kommen Spenden und Fördermittel.

Ganzheitliche Betreuung bis hin zur Gemeinwesenarbeit
Neben der Hausaufgabenbetreuung bietet das mittlerweile um einen Auszubildenden gewachsene Team auch eine abwechslungsreiche Freizeitgestaltung für die insgesamt 30 betreuten Kinder aus Grundschule und Realschule plus an. Dazu zählen etwa Fußball- und Tanz-AG genauso wie Basteleien oder das Umhertoben auf dem eigenen Spielplatz. Dazu kommen Aufenthalte in einem in der Region angemieteten Haus sowie Tagesausflüge beispielsweise nach Speyer in das Aquarium SEA LIFE oder auf die Burgruine Trifels bei Annweiler; zu den besonderen Ereignissen gehören auch Tagesfahrten mit den Eltern, etwa nach Paris. Während hierfür die Teilnehmenden kleinere Beträge zur Deckung der externen Kosten entrichten müssen, bleiben alle anderen Angebote berechnungsfrei.

Vor 15 Jahren gestartet, hat sich eine weitere Initiative vielfach bewährt. So empfanden immer mehr ehemalige Anwohner, die aus dem einstigen Brennpunkt in besser ausgebaute Bereiche der Stadt gezogen waren, so etwas wie Heimatverlust. Als Hilfe zur Selbsthilfe organisierte federführend Adelheid Theisinger die Möglichkeit, die leerstehenden Häuser in Eigeninitiative zu renovieren und wieder bewohnbar zu machen. Als städtische Tochtergesellschaft stellte die Bauhilfe Pirmasens GmbH hierfür das notwendige Material zur Verfügung. Im Ergebnis sind heute alle Wohnungen im Quartier renoviert und wieder bewohnt, einhergehend mit einer spürbaren Aufwertung der Substanz und höheren Wertschätzung für das selbst geschaffene lebenswerte Wohnumfeld.

2012 verlieh der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck der Spiel- und Lernstube Ohmbach den Brückenpreis für innovatives Engagement. Im gleichen Jahr erhielt die Einrichtung (mit anderen) den Sonderpreis der Diakonie gegen Armut und Ausgrenzung beim Helmut-Simon-Preis. Dieser Preis ist nach dem 2013 verstorbenen ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht benannt, der anlässlich der Verleihung sagte: „Ihre Arbeit ist die beste Antwort auf den Raubtierkapitalismus unserer Zeit – und Ihnen gehört die Zukunft.“

Großer Wunsch von Adelheid Theisinger und ihrem Team ist es, noch mehr auch den Übergang von der Schule in eine Ausbildung fördern und begleiten zu können. Vieles sieht sie hier schon getan, weiß aber zugleich um die herausragende Bedeutung dieser Schnittstelle für den weiteren Werdegang der Jugendlichen und letztlich auch des gesamten Quartiers.

Hohe Bedeutung für die Stadtgemeinschaft
Niemanden durchs Raster fallen zu lassen, lautet das wichtigste Ziel von Lern- und Spielstuben, die gezielt an sozialen Brennpunkten verortet sind. Dabei geht es weit über die wichtige Hausaufgabenbetreuung hinaus auch um das Vermitteln ganz alltäglicher Fertigkeiten und lebensnotwendiger Strukturen. Die Lern- und Spielstube Ohmbach diente vielfach als Vorbild für vergleichbare Einrichtungen in Pirmasens, der Region und in ganz Rheinland-Pfalz. In der Stadt sind drei weitere solcher Einrichtungen entstanden, in unterschiedlichen Umfeldern und unter verschiedenen Trägerschaften: die Spiel- und Lernstube Sommerwald (1974), die Spiel- und Lernstube im Winzler Viertel (1982) sowie die Spiel- und Lernstube am Wasserturm (1986).

Allen gemein ist der besondere Fokus auf den Übergang der Kinder an der sensiblen und richtungsweisenden Schnittstelle von Kita zur Schule. Zu den Besonderheiten gehört zudem der gut funktionierende regelmäßige Austausch zwischen den Einrichtungen unterschiedlicher Trägerschaften und mit weiteren Einrichtungen mit dem gleichen Ziel, dort für Kinder und Jugendliche aus benachteiligtem Umfeld mit praktischen Hilfestellungen einzutreten, wo das Elternhaus dazu nicht in der Lage ist.

Welch hohe Bedeutung gerade auch die rheinland-pfälzische Landesregierung dem Konzept der Lern- und Spielstube beimisst, hat sich in dem zum 1. Juli 2021 in Kraft getretenen neuen Kita-Gesetz gezeigt. So wurde dort unter anderem die Personalisierung festgeschrieben mit einem faktischen Personalplus für die Pirmasenser Einrichtung um jeweils eine Viertelstelle.

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Die Pirmasenser Spiel- und Lernstuben im Überblick

Spiel- und Lernstube Ohmbach
Asternweg 1 | 66955 Pirmasens
Gründungsjahr: 1973
Träger: Fördergemeinschaft Ohmbach e. V.

Spiel- und Lernstube Sommerwald
Unterer Sommerwaldweg 148 | 66953 Pirmasens
Gründungsjahr: 1974
Träger: Lern-und Spielstube Sommerwald e. V.

Lern- und Spielstube im Winzler Viertel
Winzler Straße 40 | 66954 Pirmasens
Gründungsjahr: 1982
Träger: Stadtverwaltung Pirmasens

Lern- und Spielstube am Wasserturm
Am Wasserturm 13 | 66953 Pirmasens
Gründungsjahr: 1986
Träger: Nardini-Hilfswerk Pirmasens e. V.

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Ergänzendes zur Stadt Pirmasens
Erste urkundliche Erwähnung fand Pirmasens um 850 als „pirminiseusna“, angelehnt an den Klostergründer Pirminius. Der als Stadtgründer geltende Landgraf Ludwig IX. errichtete im heutigen Pirmasens die Garnison für ein Grenadierregiment, es folgten 1763 die Stadtrechte. Am südwestlichen Rand des Pfälzerwalds gelegen und grenznah zu Frankreich ist das rund 42.000 Einwohner zählende, rheinland-pfälzische Pirmasens wie Rom auf sieben Hügeln erbaut. In ihrer Blütezeit galt die Stadt als Zentrum der deutschen Schuhindustrie und ist in dieser Branche heute noch wichtiger Dreh- und Angelpunkt; davon zeugen unter anderem der Sitz der Deutschen Schuhfachschule, des International Shoe Competence Centers (ISC) oder der Standort der ältesten Schuhfabrik Europas. Zu den tragenden Wirtschaftsbereichen zählen unter anderem chemische Industrie, Kunststofffertigung, Fördertechnik-Anlagen und Maschinenbau. Pirmasens positioniert sich heute als Einkaufsstadt mit touristischem Anspruch und gut ausgestattetem Messegelände. Seit 1965 wird eine Städtepartnerschaft mit dem französischen Poissy gepflegt. Weitere Informationen sind unter http://www.pirmasens.de erhältlich.

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