Zensursula reloaded – Die neue Datenkrake heißt Financial Blocking

Internetspiel-Sperren gemäß Glücksspielstaatsvertrag: Datenschützer Thilo Weichert befürchtet Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür

Kiel, November 2014. Sie greift wieder an, die staatlich gezüchtete Datenkrake, deren findige Arme einen neuen Weg ausgemacht haben, die Datenschützer zu überlisten: Derzeit im Visier staatlicher Überwachungsfetischisten ist der angebliche Kampf gegen vermeintlich illegales Glücksspiel. Auf Grundlage des von den Bundesländern verabschiedeten Glücksspielstaatvertrages (GlüStV ) beabsichtigen die deutschen Aufsichtsbehörden – allen voran das Innenministerium Niedersachsen, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin und das Bundesfinanzministerium -, die Zahlungsströme zu aus ihrer Sicht illegalen Online-Glücksspielanbietern zu unterbinden. Um dieses so genannte Financial Blocking umzusetzen, werden Banken und Zahlungsdienstleister verpflichtet, den gesamten Zahlungsverkehr zu überwachen und Transaktionen im Zusammenhang mit Glücksspielanbietern entsprechend zu codieren. Die praktischen und (datenschutz-)rechtlichen Probleme in Bezug auf die vorgesehen Maßnahmen sind allerdings vielfältig, wie unter anderem das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) analysiert.

In seiner aktuellen Stellungnahme „Datenschutzrechtliche Bewertung der Regelungen zum „Financial Blocking“ zur Verhinderung illegalen Glücksspiels im Internet“ vom 13. November d. J. kritisiert deren Leiter, der schleswig-holsteinische Landesdatenschutzbeauftragte Thilo Weichert, die gegen vermeintlich illegale Glücksspielanbieter geplanten Financial Blocking-Maßnahmen als „weitgehend praktisch unmöglich“ und befürchtet zugleich eine „unzulässige Vorratsdatenerhebung“ zulasten aller Kunden von deutschen Banken und Zahlungsdienstleistern.

Financial Blocking bräuchte Totalüberwachung des deutschen Zahlungsverkehrs

Kern der Kontroverse ist eine Bestimmung im Glücksspielstaatsvertrag, die vorsieht, dass „insbesondere den Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten die Mitwirkung an Zahlungen für unerlaubtes Glücksspiel“ untersagt werden kann. Was zunächst einfach klingt, ist in der Praxis kaum umsetzbar und bedarf einer Totalüberwachung des deutschen Zahlungsverkehrs. Weichert: „Zudem würde dies die Erfassung von Merkmalen von allen Kundinnen und Kunden notwendig machen, ohne dass gewährleistet ist, dass diese den Finanzdienstleister für Glückspiel-Transaktionen in Anspruch nehmen und diese Daten für mögliche Blocking-Maßnahmen erforderlich sein können. Die Annahme einer Erhebungspflicht würde zu einer unzulässigen Vorratsdatenerhebung führen. Sie wäre im Hinblick auf die damit verbundenen Eingriffe und den angestrebten Zweck unverhältnismäßig.“

Führende internationale Experten haben erst bei der Herbstkonferenz der International Masters of Gaming Law (IMGL) http://www.gaminglawmasters.com Anfang November in Florenz in einem Panel, das sich explizit der Frage der Zukunftsfähigkeit von Financial Blocking widmete („Financial Blocking – an Enforcement tool with Future?“), dargelegt, dass dieses Instrument in der Praxis weder umsetzbar ist noch Wirkung zeigt. Christian Chmiel, Experte für Zahlungssicherheit und CEO der Web Shield Ltd., der zahleiche europäische Polizeibehörden in Fragen der Internetsicherheit berät, Justin Franssen, Head of Gaming, Sports & Entertainment Practice Group, Kalff Katz & Franssen aus den Niederlanden und Joakim Marstrander, Partner bei Deloitte Tax & Legal in Norwegen machten deutlich, dass – während man in Deutschland und den Niederlanden Financial Blocking offensichtlich als Allheilmittel ausmacht – der Blick nach Norwegen genügt, um das Scheitern von Zahlungssperren zu begutachten: Die norwegischen Regulierer hatten 2010 zum Schutz des staatlichen Glücksspielmonopols Financial Blocking-Maßnahmen gegen private Glücksspielanbieter angeordnet und die Auswirkungen sowohl 2012 als auch 2014 evaluiert. Rune Timberlid, Senior Advisor des Norwegian Gaming Board, kommt heute zu einem ernüchternden Ergebnis: „This payment ban has had less impact than expected. It“s not been a success. There are too many ways around the ban. It“s easier than we thought to set up solutions where banks and financial institutions aren“t involved.“

Können Banken Zahlungen auf Legalität prüfen?

Ganz unabhängig von der heftig diskutierten rechtlichen Wirksamkeit der deutschen Glücksspielregulierung fehlen den Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten zumeist die relevanten Daten, um Ein- oder Auszahlungen auf ihre Legalität hin prüfen zu können.
Vielmehr werden sie ohne rechtliche Absicherung zu inoffiziellen „Hilfssheriffs“ der Glücksspielaufsichten und setzen sich dabei erheblichen Haftungsrisiken aus.

Wenn eine deutsche Behörde einen Glücksspielanbieter als illegal eingestuft hat, würde sie die deutschen Banken und Finanzdienstleister dazu verpflichten, keine Transaktion zu oder von diesem Glücksspielanbieter mehr vorzunehmen. Mit den Banken selbst, so die Süddeutsche Zeitung (SZ) http://www.sueddeutsche.de , sei aber „noch nicht gesprochen worden, wie der der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken mitteilt. (…) Dieses Vorgehen müsse „rechtssicher und praktikabel“ sein. Die Bankenorganisationen haben den Ländern bereits im Mai 2011 mitgeteilt, Überweisungen auf Konten eines Glückspiel-Betreibers seien „nicht immer zwingend“ Wetteinsätze, das könne auch andere Anlässe haben. Die Kreditinstitute könnten das „nicht unterscheiden“.“

Damit die deutschen Banken Glücksspieltranskationen aber überhaupt identifizieren können, sollen die Transaktionen codiert werden. Was bei Kreditkartenzahlungen schon üblich ist – für Glücksspiel verwendet VISA beispielsweise den Code 7995 -, soll demnach auf andere Zahlungsmittel übertragen werden. Soweit die Datensammler-Theorie. Praktiker wenden direkt ein, dass dies bei Zahlungsarten wie der Überweisung oder dem Elektronischen Lastschriftverfahren ELV gar nicht möglich ist. Zudem unterscheidet auch die VISA-Karten-Codierung nicht zwischen legalen und illegalen Angeboten.

Droht das Bewegungsprofil für den Bankkunden?

Für diese Unterscheidung wollen aber die deutschen Aufsichtsbehörden Sorge tragen. Unter Federführung des Innenministeriums Niedersachsen ist angeblich eine so genannte „Black List“ mit illegalen Anbietern in Vorbereitung. Damit die Banken legal besser von illegal unterscheiden können, sollen sie Mitteilunge erhalten, welche Glücksspielanbieter in Deutschland zugelassen und verboten sind. Aber auch hier klaffen Theorie und Praxis auseinander: Denn nur weil ein Anbieter nicht in Deutschland lizenziert ist, ist nicht automatisch auch die Einzahlung des Kunden an diesen verboten. Gleiches gilt für die Auszahlung vom Glücksspielanbieter. Denn ob eine Spielteilnahme legal oder illegal ist, hängt auch nach dem GlüStV vom Aufenthaltsort des Spielers im Zeitpunkt der Spielteilnahme ab.

Müssten die Banken also noch den Aufenthaltsort des Kunden herausfinden? Thilo Weichert hält das ohnehin für abwegig: Genau das könnten die Banken nämlich nicht, denn „die IP- Adresse ist den Finanzdienstleistern nur in wenigen Ausnahmefällen bekannt. Eine Geolokalisierung durch Funkzellen oder GPS ist bei Glückspielangeboten die Ausnahme.“ Die Banken müssten daher ohne ausreichende rechtliche Grundlage selbst versuchen, den Aufenthaltsort des Kunden im Zeitpunkt der Zahlung herauszufinden. Im Online-Bereich ginge das, wenn überhaupt, wohl nur über die leicht zu manipulierende IP-Adresse.

Deutscher Alleingang ist unmöglich

Weichert bestätigt mit seinen Analysen auch den Internetpionier Michael Rotert, Präsident des eco-Verbandes der deutschen Internetwirtschaft http://www.eco.de , der bereits im Frühjahr auf dem CRM Wirtschaftsgipfel in Schleswig-Holstein dem Sperren von Finanzströmen aus datenschutzrechtlicher Perspektive eine Absage erteilt hatte. „Dazu müssten die Zahlungsabwickler nämlich mehr Daten erheben bzw. die erhobenen Daten anderweitig verwenden als es für die Zahlungsfunktion eigentlich nötig wäre. Damit haben wir bereits ein Datenschutzproblem.“ Im Umkehrschluss heißt dies für Rotert auch, dass die Verarbeitung dieser Daten alle deutschen Kunden von Zahlungsanbietern trifft, unabhängig vom jeweiligen Zahlungszweck. Daneben schätzt auch er die praktische Umsetzung als nahezu unmöglich ein: So müsste der Zahlungsabwickler in der Lage sein zu prüfen, ob es sich jeweils tatsächlich um ein Glücksspielangebot handelt und, wo sich der Spieler im Augenblick des Spiels befindet – nämlich in einem (Bundes-)Land, in dem das genutzte Angebot lizenziert ist oder eben nicht. Die mögliche Folge: Nationale Besonderheiten wie die deutsche Glücksspielgesetzgebung greifen in das weltweit verfügbare Medium Internet ein. Zudem gibt er zu bedenken, dass man als Spieler nicht auf eine deutsche Bank angewiesen ist, „denn nur hier könnten die Behörden Auflagen machen. Schon im europäischen Umfeld läuft das ins Leere, dort ist der Anbieter ja möglicherweise lizenziert. Schon aus Gründen der Inkompatibilität mit den europäischen Verhältnissen dürfte es kein Financial Blocking als deutschen Alleingang geben.“

Die Antwort der baden-württembergischen Landesregierung auf eine Anfrage der SPD-Fraktion im Landtag stützt Roterts Analyse und zeigt ebenfalls diese Schwächen von Financial Blocking auf. Denn die deutschen Behörden können demnach nur deutsche Banken und Zahlungsdienstleister verpflichten. Sobald ein Deutscher also ein ausländisches Bankkonto oder einen ausländischen Zahlungsdienstleister nutzt, funktioniert die Unterbindung der Zahlungsströme überhaupt nicht mehr, weil die deutschen Behörden im Ausland schlicht keine Hoheitsbefugnis haben. Von solchen Anordnungen betroffen wären also nur deutsche Banken und Zahlungsdienstleister – unzweifelhaft ein wettbewerblicher Nachteil gegenüber anderen Instituten innerhalb der Europäischen Union.

Spielort muss nicht der Einzahlungsort sein

Selbst wenn man aber über die IP-Adresse den Aufenthaltsort des Kunden zum Zeitpunkt der Ein- oder Auszahlung feststellen könnte, stellt sich ein weiteres ganz praktisches Problem, welches Weichert ebenfalls benennt: „Hinzu kommt, dass der Spiel- und der Zahlungsvorgang oft (mehr oder weniger stark) voneinander getrennt durchgeführt werden. D. h. die Lokalisierung des Zahlvorgangs hat allenfalls eine Indizwirkung für den Spielort.“ Mit anderen Worten: Es gibt keine Regel, die besagt, dass sich der Kunde im Zeitpunkt der Einzahlung an dem Ort aufhält an dem er auch spielen wird. Ein Spieler könnte beispielsweise, während er sich unter der Woche in München aufhält, eine Einzahlung über sein deutsches Konto bei einem österreichischem Sportwettenanbieter ausführen wollen, um am Wochenende, wenn er seine Freundin in Wien besucht, vollkommen legal in Österreich online wetten zu können. Wer sollte ihm das verbieten?

Aufgrund der mangelnde Durchschlagskraft von Financial Blocking, gepaart mit erheblichem Verwaltungsaufwand, staatlichen Überwachungsstrukturen à la Orson Welles, Eingriffen in die europäischen Grundfreiheiten und den Datenschutz sowie nicht zuletzt Haftungsrisiken für die betroffenen deutschen Banken und Zahlungsdienstleister wirft der Kieler Datenschützer Weichert die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der geplanten Maßnahmen auf. „Wegen der sehr weit gehenden praktischen Unmöglichkeit zur Umsetzung eines Financial Blocking gemäß dem GlüStV ist fragwürdig, inwieweit der sämtliches staatliches Handeln bindende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.“

Was bleibt, ist die Frage, warum deutsche Aufsichtsbehörden und auch Lotto-Funktionäre immer wieder Financial Blocking fordern. Vielleicht kennt ja Zensursula die Antwort.

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